Am Anfang stand ein privates Erlebnis. Als Manfred Michel 1977 zur Documenta nach Kassel kam und den Brasselberg/Wilhelmshöhe besuchte – einen Ort, der ihm aus seiner Studienzeit in Kassel bestens vertraut war −, musste er feststellen, dass dieser Stadtteil sich so radikal verändert hatte, dass er nichts wiedererkennen konnte, noch nicht einmal das Haus, in dem seine Frau einmal gewohnt hatte. Dieses Erlebnis war der Auslöser für sein wachsendes Interesse am Thema Umweltveränderungen und damit für seine spätere fotografische Arbeit.

 

Der eigentliche Beginn dieser Arbeit datiert auf die Jahre 1981/82, in denen sich Manfred Michel in der Bewegung gegen den Bau der Startbahn West am Frankfurter Flughafen engagierte. Hier entwickelte er die Idee, die Veränderung und Zerstörung der Landschaft fotografisch zu dokumentieren – mit der Startbahn West als erstem Motiv.

 

In den folgenden Jahren kamen immer neue Motive hinzu, meist bauliche Großprojekte, die einen entsprechend großen Eingriff in die Landschaft erwarten ließen. Hierzu gehörten insbesondere die WAA in Wackersdorf, der Rhein-Main-Donau-Kanal, der Bau von Autobahnen wie der A 661 bei Frankfurt, der Braunkohle-Abbau in Garzweiler und die ICE-Strecke Köln−Frankfurt.

 

Das Konzept und die technische Vorgehensweise, die den Fotografien zugrundeliegen, bestanden dabei von Anbeginn und ziehen sich wie ein roter Faden durch die fotografischen Arbeiten. Aufgenommen mit einer Linhof-Panoramakamera, folgen die einzelnen Fotoserien dem Prinzip der Vorher-nachher-Fotografie, indem vom immer gleichen Standpunkt aus in mehreren Schritten zunächst die Ausgangslage und dann die verschiedenen Phasen der Veränderung festgehalten werden. Die Anzahl der Phasen kann dabei – je nach Motiv – zwischen zwei und vier variieren, der zeitliche Abstand Jahre, manchmal aber auch nur Tage betragen.

 

Dreh- und Angelpunkt war bei alldem eine große Präzision im Vorgehen. Dies beginnt bereits bei der Planung der einzelnen Fotoprojekte, zu der immer eine akribische Vorrecherche gehörte, die sowohl Nachforschungen vor Ort als auch die Beschaffung und das Studium von Bauplänen – Plänen, die durchaus nicht immer für die Öffentlichkeit bestimmt waren – mit einschloss.

 

Am wichtigsten allerdings war die Genauigkeit des Vorgehens bei der Wahl und Festlegung des Standpunkts, von dem aus fotografiert werden sollte. Das betrifft zum einen das präzise Einhalten des exakt identischen Standpunkts, da nur so ein ausreichend großer Grad an Authentizität der Gegenüberstellung gewährleistet werden konnte – eine Arbeitsweise, die in Zeiten vor der allgemeinen Einführung von GPS mit einem großen Aufwand an Standortmarkierung verbunden war, teils auf Plänen, teils direkt vor Ort.

Zum anderen bedurfte es großer Präzision, wenn es darum ging, den jeweils richtigen Standpunkt zu bestimmen. Solche Richtigkeit bemisst sich dabei keineswegs allein daran, wie sachlich überzeugend und ästhetisch angemessen sich die von einem bestimmten Standpunkt aus eingefangene Landschaftsveränderung fotografisch präsentiert. „Richtig“ ist ein Standpunkt für die vergleichende Fotografie vielmehr erst dann, wenn die von ihm aus eingenommene fotografische Perspektive auch solche Elemente adäquat mit einbezieht, die gerade keiner Veränderung unterliegen: Sind sie es doch, die es dem Betrachter überhaupt erst ermöglichen, die Einheit des Ortes und damit den Zusammenhang zwischen den einzelnen Veränderungsphasen einer Fotoserie zu erkennen.

 

Was die gleichbleibenden Elemente in den Fotoserien Manfred Michels anbelangt, so fallen diese ausgesprochen unterschiedlich aus. Ihr Spektrum reicht vom fast schon Plakativen – so beispielsweise einem großen Baum in Vordergrund – bis hin zu solchen Elementen, die – wie beispielsweise eine kleine Baumgruppe am Horizont – den Betrachter gleichsam in der Art eines Suchbilds zum Detektiv auf der Suche nach dem Verbindenden machen.

 

Publiziert wurden die Arbeiten Manfred Michels bis heute vor allem in Zeitschriften, so insbesondere im Stern, in Geo und in Natur, darüber hinaus waren sie immer wieder in verschiedenen Ausstellungen zu sehen.

 

Die Zahl der Fotoserien insgesamt beläuft sich auf weit über hundert, von denen hier fünfzehn Stück, die das Spektrum der Motive exemplarisch wiedergeben, vorgestellt werden.

 

So groß die Zahl der vollendeten Arbeiten Manfred Michels auch ist, so vieles blieb doch offen. Noch drei Jahre vor seinem Tod im Jahr 2003 begann er mit einer größeren Serie über Häuser und Industriebauten der 50er Jahre. Die Projekte konnten größtenteils nicht mehr abgeschlossen werden.